Hochmittelalterliche Ostsiedlung

Deutsche Ostsiedlung, Historischer Schul-Atlas, 1893. Ungefähre (grob schematische) sprachliche Verhältnisse vor Beginn der Ostsiedlung 895 (links) und am Ende des Prozesses um 1400 (rechts).

Der Begriff der Hochmittelalterlichen Ostsiedlung beziehungsweise des mittelalterlichen Landesausbaus (auch Deutsche Ostsiedlung oder einfach Ostsiedlung) bezeichnet die Einwanderung überwiegend deutschsprachiger Siedler in die östlichen Randgebiete des Heiligen Römischen Reiches während des Hochmittelalters und die damit einhergehenden Veränderungen der Siedlungs- und Rechtsstrukturen in den Einwanderungsgebieten. Bei diesen handelt es sich um die seit etwa dem Jahr 1000 überwiegend slawisch und teilweise baltisch bewohnte Gebiete östlich von Saale und Elbe sowie in Niederösterreich, der Steiermark und in Kärnten bis hin ins Baltikum, nach Böhmen, Polen, Ungarn, Rumänien und Moldawien. Die wissenschaftliche Fachliteratur verwendet für den Vorgang seit den 1970er Jahren zunehmend den Begriff Hochmittelalterlicher Landesausbau und bezeichnet das Siedlungsgebiet als Germania Slavica („Hochmittelalterlicher Landesausbau in der Germania Slavica“). In der Mediävistik wird der früher oft benutzte Begriff Deutsche Ostkolonisation seit Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund der sprachlichen Nähe zum Kolonialismus der Neuzeit kaum noch verwendet.[1]

In dem räumlich nicht klar einzugrenzenden Einwanderungsgebiet wurden Städte und Kolonistendörfer meistens nach Magdeburger Recht und seinen Varianten Neumarkter Recht und Kulmer Recht, nahe der Ostsee auch nach Lübecker Recht und im heutigen West- und Süd-Tschechien, Ost-Österreich, Slowenien und einigen Regionen des damaligen Ungarn auch nach Nürnberger Recht und anderen süddeutschen Rechtsvorbildern, angelegt sowie bestehende Dörfer und frühstädtische Siedlungen erweitert und umstrukturiert. In den reichsnahen ehemaligen Marken, dem südlichen Ostseeraum und Schlesien wurde die westslawische Vorbevölkerung bis auf wenige Enklaven assimiliert. In Polen, teilweise aber auch in der Oberlausitz, gingen die deutschsprachigen Neusiedler in der slawischen Mehrheitsbevölkerung auf und die nicht-deutsche Bevölkerung übernahm die „deutschrechtliche“ Umstrukturierung. In den Regionen zwischen Elbe und Oder sowie im Baltikum trug der Prozess gerade zu Anfang bis etwa 1150 Züge einer Eroberung und gewaltsamen Missionierung; andernorts zeichnete sich durch die Initiative einheimischer Grundherren eine eher friedliche Besiedlung ab.

Neue Siedler- und Bauernstellen aufgrund des Bevölkerungswachstums im Altsiedelland entstanden nach einer Frühphase seit dem 7. Jahrhundert, verstärkt ab der Mitte des 10. Jahrhunderts, zunächst in Katalonien und wurden bis nach Osteuropa vorgeschoben.[2] Die Siedlungsbewegung hat Ursprünge im Frühmittelalter, doch erst seit Mitte des 12. Jahrhunderts (im Hochmittelalter) kam es zu größeren, wenn auch nicht quantifizierbaren Siedlungsbewegungen von West nach Ost. Die rein politische Expansion zuvor, ohne nennenswerte Ansiedlungen östlich von Elbe und Saale, ist daher nur bedingt der Ostsiedlung zuzurechnen. Gegen Anfang des 14. Jahrhunderts (im frühen Spätmittelalter) kann der Prozess als beendet betrachtet werden. Die Ostsiedlung fand somit hauptsächlich im Hochmittelalter statt. Sie wird, beginnend ab den 1980er Jahren, als Teil eines gesamteuropäischen Intensivierungsvorgangs aus den karolingisch-angelsächsischen Kernländern bis in die Peripherie des Kontinents verstanden.[3] Die ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen sowie wirtschaftlichen Veränderungen durch die Ostsiedlung prägten die Geschichte Ostmitteleuropas zwischen Ostsee und Karpaten bis mindestens ins 20. Jahrhundert.

  1. Zur Begriffsgeschichte Christian Lübke: Ostkolonisation, Ostsiedlung, Landesausbau im Mittelalter. Der ethnische und strukturelle Wandel östlich von Saale und Elbe im Blick der Neuzeit. In: Enno Bünz: Ostsiedlung und Landesausbau in Sachsen. Die Kührener Urkunde von 1154 und ihr historisches Umfeld. Leipziger Univ.-Verlag, Leipzig 2008, S. 467–484, insbesondere S. 479–484.
  2. Winfried Irgang: Mittelalterlicher Landesausbau/Ostsiedlung. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 12. Juni 2012, abgerufen am 18. März 2021.
  3. Robert Bartlett (siehe Literatur), S. 14 f, 213.

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